Im Frühjahr hat ein Ereignis besondere mediale Aufmerksamkeit erregt, das Protestanten gewöhnlich eher distanziert wahrnehmen: am 8. Mai wurde der neue Papst Leo XIV. gewählt, nach kurzem, nur zweitägigem Konklave. Es war erstaunlich, wie er schon in den ersten Tagen viele Beobachter durch eine mühelos erscheinende Noblesse beeindruckte, mit der er das Amt übernommen hat. Woher kommt diese Geradlinigkeit, gepaart mit Einfachheit und Eleganz?
Ein Blick auf seine Biografie, die von Jugend an mit einer Ausbildung im Augustinerorden verknüpft war, kann zur Erklärung helfen. Bevor er volles Mitglied des Ordens wurde, studierte Prevost Mathematik und Philosophie und folgte so den Ambitionen des Kirchenvaters Augustinus (354-430), der zeitlebens die Verbindung der zeitgenössischen Wissenschaften mit Philosophie und Theologie suchte. Es gibt eine berühmte Augustinus-Darstellung des venezianischen Malers Vittore Carpaccio (1465-1525). Sie zeigt die Studierstube Augustinus‘ mit den Gegenständen und Atmosphären seines durch den Glauben inspirierten Studiums. Der Raum ist nicht dunkel und verschlossen, sondern hell und weit geöffnet. Das Licht fällt durch ein Fenster auf das Gesicht des am Schreibtisch stehenden Augustinus und berührt ihn wie eine Vision. Im Vordergrund erkennt man geöffnete Seiten seiner Studien, und an der linken Wand sieht man viele Bücher ordentlich aufgereiht. An der hinteren Wand öffnet sich eine Altarnische mit Mitra und Krummstab, den Insignien seines Bischofsamtes.

Neben den Büchern zeigt das Gemälde auch Gegenstände der praktischen astronomischen und botanischen Forschung, ein Astrolabium und ein Muschelhorn. Die Dinge der Welt werden konkret untersucht und mit den inneren Erfahrungen des Glaubens verbunden. Das Studium weitet sich zu einer spirituellen Schau, die mit den Dingen als Zeichen der göttlichen Schöpfung umgeht. Diese Aufmerksamkeit spiegelt sich in einem netten Detail: ein kleiner weißer Spitz sitzt hellwach auf dem Boden und beobachtet aufmerksam das Geschehen.
Man kann den Impuls des Carpaccio-Bildes durchaus so aufnehmen, dass die Augustinus-Gefolgschaft des neuen Papstes nicht in eine dunkle klösterliche Zelle führt, sondern in das strahlende, Wissenschaft und Glauben verbindende Arbeitszimmer eines Bischofs, der die Visionen des Geistes schreibend, fragend und denkend erwartet. In seiner ersten Predigt in San Giovanni in Laterano hat Leo XIV. die Gläubigen eingeladen, „gemeinsam zu lernen und zu verstehen“. Das sollte uns als Bildungsprofis sehr freuen. Und im Übrigen haben auch die Protestanten einen berühmten Augustinermönch in ihren Reihen – Martin Luther.
In der Hoffnung auf geistliche und ökumenische Impulse dieses neuen Papstes wünschen wir Ihnen und Euch allen einen schönen Sommer!
Heid Leganger-Krogstad und Tania ap Siôn (ICCS), Piet Jansen und Michael Jacobs (IV)